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Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. DVD
Januar 1999

Datenschutzrechtliche Erwartungen
an die Rot-Grüe Bundesregierung

Entschließung der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. - DVD

Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Grundlage für die Regierungspolitik einer rot-grünen Bundesregierung für die nächste Legislaturperiode sein soll, läßt nicht ansatzweise erkennen, daß sich die Bundesrepublik an der technologisch bedingten Schwelle zur Informationsgesellschaft befindet, die neue Antworten zur wirksamen Verteidigung der Bürgerrechte notwendig macht. Sie gibt auch nicht zu erkennen, daß nach 16 Jahren einer autoritär-konservativen Politik eine Trendwende im Bereich des Datenschutzes beabsichtigt sei.

Die Politikerinnen und Politiker müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Bedrohungslagen für die Freiheitsrechte und die Menschenwürde an der Schwelle zum 21. Jahrhundert von denen unterscheiden, die uns in den letzten 150 bis 200 Jahren seit den bürgerlichen Revolutionen in Europa bekannt wurden. Drohte den Menschen bisher vor allem Gefahr durch ungezügelte Ausbeutung als Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer und durch exekutive staatliche Übergriffe, so verschieben sich die Risiken in den informationellen Bereich; neue Gefahren sind die schamlose Klassifikation und Manipulation der Menschen als Konsumentinnen und Konsumenten und die informationelle staatliche Kontrolle im Alltag. Persönliche Selbstbestimmung ist weniger durch privaten und staatlichen Zwang bedroht als durch die lautlose Kontrolle mit Hilfe informations-technischer Instrumente.

Informationstechnik eröffnet aber auch völlig neue positive Möglichkeiten; sie ist in der Lage, den Menschen ihr Leben und Arbeiten einfacher und angenehmer zu machen. Sie kann dazu benutzt werden, im Interesse von demokratischer Transparenz und Selbstbestimmung Informationen zu vermitteln und diese breit zu diskutieren. Sie dient nicht zuletzt als Hilfsmittel zum Schutz des Menschen, seiner Kommunikationsfreiheit und seiner Privatsphäre. Auch diese Chancen scheinen bisher kein Anliegen der rot-grünen Koalitionspartner zu sein.

Mit dem Argument der gerechten Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen und der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten werden die Menschen derzeit schon im einem Maße erfaßt und kontrolliert, wie es früher, schon allein mangels technischer Möglichkeiten, nicht vorstellbar war. Der Erhalt von sozialen Leistungen wird von der totalen Offenlegung der persönlichen Verhältnisse abhängig gemacht. Durch Audio- und Videoüberwachung sowie anlaß-unabhängige polizeiliche Kontrollmöglichkeiten schwinden die Unbefangenheit im öffentlichen Leben, Meinungsfreiheit und ziviles Engagement. Mit dem Lauschangriff wird selbst in den intimsten persönlichen Raum eingegriffen. Mit dem Abbau von Zeugnisverweigerungsrechten und Berufsgeheimnissen wird die personale Geheimsphäre eingeschränkt. Mit Konsum- und Kommunikationsprofilen sowie sozialen und ökonomischen Rastern, erstellt und zusammengefügt in privaten und öffentlichen Datenbanken - unter Auswertung von bei immer mehr alltäglichen

Verrichtungen anfallenden Datenschatten und von immer raffinierter erhobenen Datenbeständen - werden die Menschen zu Informationsmustern reduziert, deren Verhalten nicht durch gesellschaftlich demokratisch ausdiskutierte Ge- und Verbote festgelegt wird, sondern durch soziale Ein- und Ausgrenzung, durch gezieltes Verteilen bzw. Vorenthalten von Informationen und von materiellen Ressourcen. Beschäftigte in multinationalen Konzernen müssen erleben, daß ihre Leistungs- und Verhaltensdaten weltweit abrufbar sind und rücksichtslos ausgewertet werden. Die Spitze der informationellen Ausbeutung der Menschen droht durch die Analyse des menschlichen Genoms und durch die Auswertung dieser Informationen. Die als "Informationsvorsorge" oder "informationelle Fürsorge" präsentierten Maßnahmen haben gravierende Auswirkungen auf die betroffenen Menschen. Sie werden zu reinen Objekten staatlicher und privatwirtschaftlicher Planungen. Die zumeist anonymen Planungen sind für die Betroffenen weder transparent, geschweige denn beeinflußbar.

Das Grundgesetz basiert auf einem positiven Menschenbild. Die letzten 16 unionsgeführten Regierungsjahre waren dagegen geprägt von einer Kontrollkultur. Basis der Erfassung war institutionalisiertes Mißtrauen. Jede Form der Überwachung läßt sich dadurch scheinbar rational begründen, daß man unterstellt, Menschen mißbrauchen ihre Freiräume und Rechte. Mit der Unterstellung von Mißbrauch (z.B. des Asyl- oder des Demonstrationsrechts, von Versicherungs- oder Sozialleistungsansprüchen) läßt sich die Durchleuchtung auch noch des letzten Winkels in unserem Leben rechtfertigen. Die Überwachung verhindert jedoch nicht den Mißbrauch; oft wird das Gegenteil erreicht. Überzogene Kontrolle ermuntert zum Umgehen der Überwachung; das institutionalisierte Mißtrauen verringert die Bereitschaft zur freiwilligen Ehrlichkeit. Sicherlich bedarf es in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft an vielen Stellen der Kontrolle. Diese muß sich aber immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen. Vor einer personenbezogenen Überwachung sind zunächst Verfahren zu prüfen, bei denen nur eine sach- bzw. technikbezogene oder nur eine anonyme Kontrolle erfolgt.

Sah man in der Vergangenheit die größte Gefahr für das Persönlichkeitsrecht der Menschen im Staat als "Big Brother" oder als "Leviathan", so hat sich die Bedrohung erweitert: Zunehmend sammeln private Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Elektronik- und Medienbereich, persönliche Daten für Zwecke der Kontrolle und Manipulation und nutzen diese Mittel zum Zweck der Machtausübung und aus Profitinteresse. Big Brother hat Geschwister bekommen, die ihn hinsichtlich der Verweigerung informationeller Selbstbestimmung oft schon weit übertreffen.

Um dem Trend zunehmender Überwachung mit Hilfe moderner Informationstechnik entgegenzuwirken, hat das Bundesverfassungsgericht 1983 aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) ein "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" abgeleitet. Dieses Grundrecht, kurz "Recht auf Datenschutz" genannt, ist Grundbedingung für eine menschen- und bürgerrechtskonforme demokratische Informationsgesellschaft.

Verfassungsrechtlich versuchte man nun das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die sonstigen Freiheitsgrundrechte (Unverletzlichkeit der Wohnung, Unschuldsvermutung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit usw.) durch ein "Grundrecht auf Sicherheit" zu relativieren. Damit wurde auf der Basis berechtigter Sicherheitsinteressen und dem kollektiven Schüren von Angst ein rechtliches Konstrukt aufgebaut, mit dem jegliche verfassungsrechtliche Freiheitsgewährleistung beschnitten werden kann. Damit geriet auch aus dem Blick, daß "öffentliche Sicherheit" ein gesellschaftliches Gut ist, das nicht rechtlich erzwungen und eingeklagt werden kann, sondern politisch gestaltet werden muß.

Das Defizit der rot-grünen Koalitionsvereinbarung besteht darin, daß sie die Problematik informationstechnischer Überwachung nicht zur Kenntnis nimmt. Eine in der Vereinbarung liegende Chance besteht aber darin, daß sie - ungeachtet der technischen Gegebenheiten - dennoch Rahmenbedingungen benennt, die eine bürgerrechtskonforme Informationstechnik-Politik ermöglichen. Dieses Potential gilt es auszuschöpfen. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz sieht ihre Aufgabe darin, gemeinsam mit anderen Bürgerrechtsorganisationen durch kritische Politikbegleitung informationelle Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen einzufordern und für deren Realisierung zu kämpfen.

Im Datenschutzrecht müssen alte Zöpfe gekappt werden. Statt der abwehrenden, muß diesem Recht eine gestaltende Funktion gegeben werden für eine moderne bürgerrechtskonforme Informationsgesellschaft. Entfielen bisher gesellschaftliche Gefahren, so wurden die Instrumente zu deren Bekämpfung nicht wieder abgeschafft, sondern beibehalten für evtl. neue, noch nicht bekannte Anwendungsfelder (Gefahr des "Kommunismus", dann Terrorismus, jetzt "Organisierte Kriminalität"). Zugleich wurden privaten Überwachungspraktiken keine wirksamen Grenzen gesetzt. Diese Altlasten müssen aufgearbeitet und bereinigt werden. Das Rad staatlicher Überwachung ist zurückzudrehen. Es sind Evaluationsinstrumente zu schaffen, mit denen die Wirkungen und die Wirksamkeit staatlicher Kontrolle untersucht werden (können). Durch verfahrensrechtliche Sicherungen ist zu verhindern, daß Kontrollmonopole mißbraucht werden. Neue Formen des Grundrechtsschutzes sind zu installieren. Gegenüber privaten wie öffentlichen Stellen sind den Betroffenen Abwehrrechte zur Verfügung zu stellen. Ihnen muß das rechtliche und technische Know-How vermittelt werden, sich der Risiken der Informationstechnik bewußt zu werden und sich selbst zu schützen.

 

Die dargestellten Grundsätze führen u.a. zu folgendem politischen Handlungsbedarf:

Bundesdatenschutzgesetz

  • Noch im Jahr 1999 muß ein Bundesdatenschutzgesetz verabschiedet werden, das nicht nur den Vorgaben der europäischen Datenschutzrichtlinie, sondern auch den neuen technischen Herausforderungen und Möglichkeiten gerecht wird. Hierfür besteht eine tragfähige Grundlage in dem - unter Federführung der Deutschen Vereinigung für Datenschutz erarbeiteten - Entwurf eines BDSG, der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht wurde (BT-Drs. 13/9082).
  • Ein modernes Datenschutzrecht hat die Grundsätze der Datenvermeidung und Datensparsamkeit (z.B. durch Anonymisierung, Pseudonymisierung, Nutzung von Prepaid-Verfahren), des Datenschutzes durch Technik, der Zweckbindung der Daten und ihres Verwendungszusammenhangs in den Mittelpunkt zu stellen.
  • Den Betroffenen sind vertrauenswürdige Verschlüsselungsverfahren zum Schutz ihrer elektronischen Kommunikation anzubieten. Die Vorstellung, jede elektronische Kommunikation müsse staatlich beobachtbar sein, muß aufgegeben werden.

Informationsfreiheit als Ergänzung zum Datenschutz

  • Dem klassischen Datenschutzrecht ist ein Recht auf Informationsfreiheit an die Seite zu stellen.
  • Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung gehören als verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer demokratischen Informationsgesellschaft ins Grundgesetz.

Datenschutzorganisation

  • Die Datenschutzkontrolle im öffentlichen und nichtöffentlichen Bereich ist institutionell zusammenzufassen und organisationsrechtlich völlig unabhängig auszugestalten.
  • Die Datenschutzbehörden sind endlich angemessen personell und materiell auszustatten und neben ihren traditionellen Kontrollaufgaben mit neuen Aufgaben im Bereich der Beratung und der Dienstleistung für Betroffene und Anwender zu betrauen.
  • Datenschutzorganisationen wie die Deutsche Vereinigung für Datenschutz genießen zwar öffentliche Aufmerksamkeit, sind aber nicht formell in Entscheidungsprozesse eingebunden. Nach dem Vorbild des Umweltrechts ist die Beteiligung von Verbänden im Bereich des Datenschutzes zu verbessern.
  • Datenschutzrecht wird immer noch vorrangig als Sicherheitsrecht verstanden, nicht als Grundrechtsschutz. Organisationsrechtlich gehört dieser Bereich zum Verfassungs-, also zum Justiz-, nicht zum Innenressort.

Datenverarbeitung in der Privatwirtschaft

  • Das seit 15 Jahren fällige Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist endlich zu schaffen.. Hierbei sind die Arbeitnehmer-Vertretungen einzubeziehen. Die Rechte der Betroffenen sind zu stärken, insbesondere auch gegenüber multinationaler Konzerndatenverarbeitung.
  • Im vielen Bereichen, z.B. beim Adressenhandel oder bei Finanzdienstleistern, sind die bestehenden Widerspruchs- durch Einwilligungsregelungen zu ersetzen.
  • Verbraucherschutzvorschriften im Rahmen der Datenverarbeitung der Versicherungs- und Finanzwirtschaft sind überfällig.
  • Die Datenschutzbestimmungen im Multimediarecht sind fortzuschreiben.

Sicherheitsbereich

  • Die Befugnisse zum informationellen Eindringen in die private Wohnung (Lauschangriff) sind zurückzunehmen.
  • Das Telekommunikationsrecht muß derart überarbeitet werden, daß das Recht auf telekommunikative Selbstbestimmung nicht durch sicherheitsbehördliche Zugriffsrechte ad absurdum geführt wird.
  • Zur informationellen Gewaltenteilung gehört die organisatorische Trennung von Innen- und Justizressorts.
  • Die deutschen Geheimdienste BND, BfV und MAD sind tendenziell aufzulösen. Zunächst sind diese aus der Zeit des kalten Krieges stammenden Institutionen personell und bzgl. ihrer Befugnisse zu reduzieren. Kurzfristig sollten deren geheimdienstliche Aufgaben durch öffentliche Bildungsaufgaben abgelöst werden.
  • Das Bundeskriminalamt (BKA) ist bzgl. Personal und Befugnissen zugunsten der Länderpolizeien zu reduzieren.
  • Die Befugnis zur anlaßunabhängigen Personenkontrolle des Bundesgrenzschutzes (BGS) ist zurückzunehmen.
  • Die Datenspeicherung in der Gen-Datei ist zu beschränken auf klar gesetzlich definierte schwere Straftaten und einer strengeren Zweckbindung zu unterwerfen.
  • Das Ausländerzentralregister (AZR) ist von seiner sicherheitsbehördlichen Funktion zu befreien und auf rein ausländerrechtliche Zwecke zu beschränken.
  • Maßnahmen verdeckter polizeilicher Datenverarbeitung sind in Rechtstatsachenstellen auf ihre Wirkungen und Notwendigkeit hin zu evaluieren.
  • Die Datenerhebungsbefugnisse nach dem Anti-Terrorismusrecht sind zu überprüfen und zurückzunehmen.
  • Technische Maßnahmen, die eine Totalkontrolle von Menschen erlauben (z.B. elektronischer Hausarrest, AsylCard) sind nicht weiterzuverfolgen.

 

Bereichsspezifischer Datenschutz, v. a. im Sozial- und Medizinbereich

  • Die Datenverarbeitungsregelungen im Sozialrecht (SGB) sind umfassend zu überarbeiten. Hierbei muß die ursprüngliche Idee des SGB, Berufsgeheimnisse und das Sozialgeheimnis normativ abzusichern, wieder zum Tragen gebracht werden.
  • Das medizinische Datenschutzrecht entspricht in keiner Weise mehr den technischen Gegebenheiten der Diagnostik, der medizinischen Kommunikation und den organisatorischen und ökonomischen Verhältnissen. Dem kann durch ein bereichsspezifisches übergreifendes Medizindatenschutzrecht in Form eines Rahmengesetzes abgeholfen werden. Hierbei ist, v.a. für den Bereich der Gentechnik, ein "Recht auf Nichtwissen" vorzusehen. Medizinische Forschungsdaten müssen beschlagnahmefest gemacht werden.
  • Im Melderecht sind Übermittlungen an Parteien, Adreßbuchverlage und ähnliche Nutzungen unter Einwilligungsvorbehalt zu stellen.
  • Planungen für eine Volkszählung als eine Voll-Zwangserhebung sollten zugunsten einfacherer und weniger belastender statistischer Methoden aufgegeben werden.

Europa

  • Die Schaffung eines Datenschutzrechtes auf europäischer Ebene und einer unabhängigen Konrollinstanz sind voranzutreiben.
  • Bei der Verhandlung mit Drittstaaten, namentlich den USA, über angemessene Datenschutzstandards beim Datenexport sind unabhängige Kontrollen, die Beachtung des Zweckbindungsgrundsatzes und Betroffenenrechte unabdingbare Voraussetzungen.
  • Europol muß so umgestaltet werden, daß nur klar definierte, eng begrenzte Befugnisse übertragen werden und eine parlamentarische und rechtliche Kontrolle ermöglicht wird.
  • Vor der Einführung neuer europäischer Datenbanken ist eine umfassende Erforderlichkeits- und Subsidiaritätsprüfung im Rahmen einer öffentlichen Debatte vorzunehmen.

 

 

 

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